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„Ich gebe zu, ich bin aufgeregt, weil es auch für mich ein Experiment darstellt“,

Jörg Wippel_Portraitbegann Hans Jörg Wippel, Managing Partner des Bauträgers wvg, seine Key Note bei dem völlig neuen Format des Europäischen Forum Alpbach mit dem Titel „Re:think Wohn.Bau.Politik„. Im Aspern IQ in Wien trafen sich rund 100 unterschiedliche Menschen – vom Künstler über Politiker bis zu Soziologen und ein Gott sei Dank nur ein paar Immobilienprofis – und arbeiteten eineinhalb Tage lang gemeinsam. Ja, sie arbeiteten. Keine Frontalvorträge oder langweiligen Podiumsdiskussionen.

So erfrischend das Format, so visionär aber auch konkret die Inhalte. Worum es u.a. ging, zeigt die absolut empfehlenswerte Analyse der österreichischen Wohnbaupolitik von Hans Jörg Wippel, die sie hier lesen können (klicken Sie unten auf „Weiterlesen“)

(…)

Hans Jörg Wippel:

„Ich möchte Ihnen kurz meine Beweggründe schildern, eine Veranstaltung wie diese hier zu initiieren und zu fördern:

Seit beinah 40 Jahren beschäftige ich mich mit dem Bau und mit der Sanierung von Häusern. Regelmäßig musste ich meine Firma neu erfinden, weil gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche Rahmenbedingungen ständigen Änderungen unterworfen sind – und weil, wer sich nicht anzupassen versteht, keine Nischen oder Neuland findet, untergeht. Ich habe als Unternehmer gelernt, dass Reform und Innovation ein täglicher, ein ununterbrochener Prozess sein müssen, wenn man erfolgreich und auf der Höhe der Zeit agieren will.

Das politische Geschehen ist für Menschen, die mitten in der Wirtschaft stehen, mitunter eine Provokation. Niemand haftet für verschleppte Reformen, Untätigkeiten bleiben sanktionsfrei.

Im neuen Arbeitsprogramm dieser Regierung sind unter dem Kapitel „Leistbar wohnen“ zwei Ziele formuliert:

  1.    Eine Wohnrechtsreform, die für Gerechtigkeit, Verständlichkeit, Transparenz und Leistbarkeit sorgen soll
  2. Die Schaffung von neuem und leistbarem Wohnraum sowie Sanierung.

Dazu wird eine Reihe von Maßnahmen genannt, mittels derer diese Ziele erreicht werden sollen. Dazu nur einige Beispiele.

  • die Reform des Mietrechts „mit den Zielen größtmöglicher Vereinheitlichung, besserer Verständlichkeit für die Rechtsanwender, transparenter Ausgestaltung und Leistbarkeit der Mieten“.
  • Die Reform des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes
  • Senkung der Baukosten
  • Unterstützung bei Schaffung von leistbarem Wohnraum

Die Ausführlichkeit, mit der in diesem Regierungsprogramm auf das Thema „Leistbares Wohnen“ eingegangen wird, ist grundsätzlich anzuerkennen.

Die langjährige Erfahrung mit in Regierungsprogrammen festgeschriebenen Zielen lehrt allerdings Skepsis. Denn die Programme der Jahre 2000, 2003, 2007 und 2008 haben bereits dieselben Ziele formuliert – geschehen ist wenig bis nichts.

Warum ist das so? Genau weiß ich es auch nicht, ich halte aber verschiedene Antworten für möglich:

  • Es gibt in Österreich den gern verwendeten Abwehrsatz vom „Jammern auf hohem Niveau“ – meist begleitet von einem kalmierenden „Es geht uns doch gut“ und einem in leicht vorwurfsvollen Ton vorgebrachten „Schauen Sie sich doch bitte in den anderen europäischen Ländern um, da ist die Lage viel schlimmer“. Ob damit nun die Arbeitslosigkeit, die Wirtschaftsleistung, die Staatsverschuldung oder die Wohnversorgung gemeint ist, ist austauschbar. Wesentlich ist die Grundhaltung: Wir sind so gut, wir müssen nichts ändern, nichts öffentlich debattieren, wir bleiben sowieso besser.
  • Es ist sehr schwierig, gegen diese politische Stillstandsrhetorik und paternalistische Beruhigungspolitik anzugehen oder sie aufzubrechen.
  • Ja, Österreich ist im internationalen Vergleich tatsächlich ein bestwohnversorgtes Land. Die einzige Großstadt des Landes bietet ihren Bewohnern in Form von Gemeindewohnungen und gefördertem Wohnbau so viele leistbare Wohnungen wie keine andere europäische Hauptstadt. Noch dazu ist die soziale Durchmischung Wiens bislang noch vorbildlich.
  • Dennoch: Alle näher mit der Materie Wohnen Befassten konstatieren seit Jahren enorme Ungerechtigkeiten im Wohnungsmarkt, die ihre Ursachen paradoxer Weise in der Gesetzgebung haben. Eine Reform des Wohnrechts, die den Namen Reform tatsächlich verdient, müsste radikal sein. Das widerspricht dem österreichischen Geist, dem Radikalität zutiefst fremd und der vielmehr dem kunstsinnigen Verfassen von immer neuen kleinen Novellen und fein ziselierten Rechtsverästelungen zugetan ist.
  • Und dann noch das Ziel der Schaffung leistbaren Wohnraums. Warum wurde dem nicht konsequenter nachgegangen? Vielleicht weil die Kluft zwischen Reich und Arm in Österreich seit den 90er Jahren tatsächlich wieder größer geworden ist? Und damit gleichzeitig das Verständnis der Mächtigeren für die Lage der weniger Mächtigen abgenommen hat? Ich kann mir die Untätigkeit in diesem Bereich nur mit einer gewissen Abgehobenheit der Entscheidungsträger erklären, die über die Höhe eines österreichischen Durchschnittsgehalts nicht wirklich Bescheid wissen.

Lassen Sie mich kurz umreißen, wie ich die Lage sehe:

  • Wir bauen zu viel am falschen Ort. Es ist hoch an der Zeit, der Vergeudung und Zerstörung des wertvollen Gutes Boden Einhalt zu gebieten. Und zwar auf dem Land und in der Stadt.
  • Es muss nicht bloß langfristig, sondern in Wirklichkeit ab sofort der Nachverdichtung der unbedingte Vorzug vor dem Neubau gegeben werden.
  • Wohnbau muss ökologischer werden. Und das nicht nur hinsichtlich Niedrigenergiestandards oder Passivhaustechnologien. Es geht wesentlich um die infrastrukturelle Einbettung – Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Nahversorgung, Bildungseinrichtungen etc.
  • Der Wohnungsmarkt muss gerechter werden. Dazu muss aber nicht nur das Mietrecht reformiert werden, das ja im Wesentlichen nur den privaten Wohnungsmarkt regelt. Eine gelungene Reform des Wohnrechts muss berücksichtigen, dass es sich bei allen Teilmärkten – privater Wohnungsmarkt, gefördertes Mietwohnungssegment, Gemeindewohnungen etc. – um kommunizierende Gefäße handelt, und jede Maßnahme in einem Teilmarkt zwangsläufig Auswirkungen auf die anderen hat. Es müssen Privilegien repariert und die Schaffung von neuen verhindert werden. Wohnungsqualitäten müssen in Mietverträgen zukünftig transparent und vergleichbar dargestellt werden. Ein funktionierender, politisch gestalteter Gesamtmarkt, wo das Preissetting aller Marktsegmente aufeinander abgestimmt und klagbar dargestellt ist, wäre ein lohnendes Ziel für die aktuelle Legislaturperiode.
  • Über die Zukunft der Wohnbauförderung sollte ohne Tabus diskutiert werden dürfen. Brauchen wir sie überhaupt noch? Wenn ja, wer braucht sie? Wenn nein, wofür könnte das Geld besser verwendet werden? Die freie Entscheidung der Bundesländer über die Verwendung der Fördergelder ist jedenfalls dringend zu hinterfragen.
  • Wir müssen leistbaren Wohnraum schaffen. Ja, das stimmt. Aber nicht über den Neubau. Eine neu gebaute Wohnung kann keine günstige Wohnung sein. Dazu sind die Grundstückspreise und die Baukosten derzeit zu hoch. Letztere u. a. auch deshalb, weil die Qualitätsansprüche an den (geförderten) Wohnbau in den letzten 20 Jahren unglaublich in die Höhe geschraubt worden sind. Neu gebaute Wohnungen könnten nur dann wieder billiger werden, wenn an den eben genannten Schrauben gedreht wird – es macht z. B. durchaus Sinn zu diskutieren, welche Qualitäten wir uns weiter leisten wollen.
  • Der leistbare Wohnraum muss und kann nur durch eine Reform des gesamten Wohnrechts gewonnen werden. Wenn das Recht wieder gerecht wird, werden auch die einkommensschwachen Schichten der Bevölkerung wieder Wohnungen finden.

Soweit ein kurzer Überblick aus meiner Warte – natürlich ist auch mein Blickfeld eingeschränkt, und natürlich weiß auch ich es nicht besser.
Aber woran ich glaube, ist Folgendes, und das wurde vom Europäischen Forum Alpbach im Programm zu dieser Veranstaltung sehr treffend formuliert:

„In jedem Bereich gibt es Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen und sich bemühen, die entsprechenden Probleme zu lösen.“

Wir haben Sie zum „Re:think | Wohn.Bau.Politik“ eingeladen, weil wir glauben, dass Sie alle wertvolle Impulse für die österreichische Wohnbaupolitik setzen können, und weil wir überzeugt sind, dass es möglich ist, gemeinsam neue Handlungsweisen zu erarbeiten.

Ich freue mich darauf, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.“